Im Oktober und November 2022 bin ich den Camino Frances in Spanien gelaufen. Eine sehr prägende und wunderbare Erfahrung, die mir viel Raum für Gedanken und Gedankenspiele lies.
Die ersten eineinhalb Wochen habe ich mich aktiv dafür entschieden, tagsüber immer alleine meinen Camino zu gehen. Ich wollte sehen, wie gut ich es mit mir alleine aushalte und was das ganze an Gedanken hervorbringt. Überwiegend beschäftigten mich Themen aus meiner letzten Tätigkeit als Geschäftsführer eines Technologie-Unternehmens in Berlin. In dieser Zeit, die die Corona-Pandemie und viele unternehmerisch herausfordernde Situationen mit sich brachte, habe ich so viel positives Feedback von meinem Team erhalten. Heute würde ich es sogar als Zuneigung betrachten.
Insbesondere als ich wegen meines Schlaganfalls den Entschluss fasste, die Firma zu verlassen, mir persönlich Ruhe zu gönnen und dann den Jakobsweg zu gehen. Die unzähligen wertschätzenden sowie wunderbaren Mails und Telefonate die mich nach dem Entschluss erreichten sind bis heute für mich überwältigend.
Trotz der Pandemie, der erneuten Umstrukturierung eines Bereiches, die auch Kündigungen mit sich brachte, hatten meine Geschäftsführungs-Kollegin und ich augenscheinlich einiges richtig gemacht. Ein Wort, dass sehr häufig fiel war nahbar.
Eine meiner größten Erkenntnisse, auf dem Weg zu mir selbst: dass Du nur ein guter Leader (den Leader sollte man nicht einfach mit einem Manager verwechseln) sein kannst, wenn Du eine große Liebe zu Menschen empfindest und das auch zum Ausdruck bringst, ohne Angst vor Zurückweisung zu haben. Menschen stehen immer vor den rein wirtschaftlichen Interessen. Das heißt nicht, dass man sich von niemanden beruflich trennen kann – aber es heißt, dass man eine Trennung mit Klarheit und großer Menschlichkeit vollzieht. Empathie und Offenheit haben mir persönlich immer sehr geholfen, Mitarbeiter- oder Kündigungsgespräche so zu führen, dass sie auch für den (gekündigten) Mitarbeitenden wertvoll waren.
Der Gedanke wie ich Führung und Leadership nachhaltig besser definieren kann lies mich dabei nicht los. „Zärtliche Führung“ kam mir in den Sinn! Und als ich „Zärtliche Führung“ innerlich aussprach, dachte ich auch schon, dass dies völliger Bullshit ist.
Klingt es auf englisch vielleicht besser? Gentle Leadership – könnte man sagen – es entfachte bei mir allerdings nicht dieses Stutzen und überlegen wie „Zärtliche Führung“
Was macht Zärtlichkeit eigentlich aus, welche Gefühle und Emotionen verbergen sich dahinter? Für mich bedeutet es: Zuwendung, Freude, Bereitschaft zu helfen, körperliche Nähe und das Zeigen von Zuneigung.
Passt auch bei Führung, wenn man sie richtig versteht.
Wenn man bei Zärtlichkeit aber z.B. an Erotik und körperliche Nähe denkt, dann gibt es hier auch das Spiel von Nähe und Wegstoßen, von Ausprobieren aufgrund von Vertrauen, Neugierde, Dominanz, Verletzlichkeit – und dann immer wieder auch etwas Inniges.
Man könnte bei dieser Innigkeit die Brücke zu Purpose in der Wirtschaft schlagen – das was uns in einer Organisation verbinden sollte.
Ist Zärtliche Führung denn nun Bullshit oder Wahrheit?
Für mich sehe ich viele Parallelen. Parallelen bei denen ich die Erfahrung machen durfte, dass sie den Unterschied von Manager zu Leader definieren.
Neugierde auf Menschen, Verletzlichkeit, Empathie und Nähe zulassen und die Fähigkeit, Mitarbeitenden Unterstützung zu geben, um zu wachsen und sich weiter zu entwickeln.
Und aus diesen für einen Manager/Leader ehr ungewöhnlichen Eigenschaften wächst eine starke Verbundenheit zu den Mitarbeitenden.
Die Veränderungen sind spürbar signifikant – es entsteht ein gegenseitiges Wertschätzen, Vertrauen, die Fähigkeit auch mal Dinge zu tun, die man nur für eine andere Person tut – nicht weil man zu 140 % davon überzeugt ist – und dann findet man die Parallelen zu einem Leader. Eine Person, der man vertraut und für die man (auch mal) die Extrameile geht. Ein Leader, der uns dazu bringt, ihm zu folgen – nicht blind, aber ohne Angst. Eine Person, bei der auch wir Schwächen zeigen können und um Unterstützung bitten können. Alles in allem geht um Menschlichkeit – auch im Arbeitsleben!
Auch heute, zurück vom Weg zu mir selbst fühlt sich der Gedanke an „Zärtliche Führung“ immer noch gut und richtig an – gerade, weil es polarisiert und weil es etwas störrisch ist. Themen, die nicht allen schmecken sind besonders und wenn jeder sofort drauf einsteigen würde, gäbe es keine nachhaltigen Impulse und Reflektionen.
Die Balance dieser Zärtlichkeit in der Führung macht es aus – muss also nicht jeder verstehen, nachvollziehen und einsetzen können. Ich finde es gut, so wie es ist.